Dürfen wir im Angesicht des Terrors weiterhin Reisen? Ist es noch vertretbar unsere glücklichen Urlaubserinnerungen zu teilen, während andere Menschen durch die radikalisierte Weltansicht Einzelner leiden? Fragen, deren Beantwortung für mich zur Herzensangelegenheit wurden – auch, wenn die Antworten die ich liefern kann am Ende nur eines sind: Meine Eigenen.


Do not feed the Troll, so eine der Grundprämissen des World Wide Webs. Und doch… als in einem Online-Reiseforum vor einigen Tagen die Frage aufkam, ob es denn überhaupt angebracht sei seine Urlaubsbilder zu posten, gemeinsam in Reiseerinnerungen zu schwelgen und sich der Schönheit der Welt zu erfreuen, während Menschen parallel im Krieg leben, in Aleppo ums blanke Überleben kämpfen, der friedliche Besuch eines Weihnachtmarkts in Berlin zum folgenreichen Alptraum wird und eine regelrechte Anschlagswelle über Europa einzubrechen droht, kam ich ins Grübeln.

Aleppo, Berlin, Istanbul, Paris, Nizza… die Liste jener Orte, die jüngst von Krieg und Terror heimgesucht wurden und werden scheint stetig zu wachsen und der „Feind“ die Überhand zu gewinnen. Wenn Leid, Tod und Gewalt an der Tagesordnung steht, wie kann es da rechtens sein sich seines Lebens und seines in Reisen ausgedrückten Wohlstands zu erfreuen?


Unter Gleichgesinnten

Zugegebenermaßen orientierten sich die oben gestellten Fragen nur in ihrem Grundtonus an dem, was die Dame da an jenem Tag in den Raum geworfen hat. Vor allem, weil sie bei ihrer Fragestellung ganz klar lediglich auf Konfrontation aus war, keineswegs jedoch daran tatsächlich Feedback von der Reisegemeinde zu erhalten oder gar ein konstruktives Gespräch zu führen. Im Grunde ärgert es mich sogar ein wenig, dass eine Person, die einen derartig inflationären Gebrauch des Begriffs „Vaterland“ pflegt und sich binnen weniger Sätze als die Sorte „besorgter Bürger“ enttarnt hat, der ich so gar nichts abgewinnen kann, mich nun zu diesem Beitrag bewegt hat.

Was das Fass für mich dann jedoch im positivsten nur denkbaren Sinne hat überlaufen lassen (und mich letztlich dazu bewegte diese Zeilen zu tippen), war dann jedoch die Reaktion meiner Mitreisenden, all jener wanderlustigen Mädels, die obgleich sie aus allen Ecken Deutschlands, Österreichs und der Schweiz stammen und letztlich doch nur eine lose virtuelle Verbindung pflegen, binnen Sekunden zur aufgeklärten, weltoffenen Einheit verschmolzen sind. Geduldig und nuanciert verfasst, hagelte es auf den Original-Post so im Sekundtakt Antworten, die sich mit meiner Auffassung zu 100% deckten:

Denn am Ende ist es doch gerade das Reisen, das uns immer wieder zeigt, wie lebenswert das Leben ist. Es ist das Reisen, das uns vor Augen führt, dass die Welt eben nicht nur aus Terror, Angst und Krieg besteht, dass Menschen überall trotz und vielleicht sogar wegen ihrer Unterschiede friedlich beisammen leben.

Was sollte also falsch daran sein diese so wichtige Seite unserer Zivilisation in Form von Urlaubsbildern zu teilen? Vielmehr setzen diese öffentlichen Bekundungen doch geradezu ein Statement dafür, dass wir als Reisegemeinschaft keine Angst vor dem Fremden haben, offen und tolerant in die Welt ziehen und an das Gute glauben. Das heißt nicht, dass nicht jeder von uns sich seine ganz eigenen Gedanken zu den aktuellen Geschehnissen macht. Nur schließt das eine das andere eben nicht aus. Und was wäre es für ein Leben in denen die einzig angebrachten Bilder die von Krieg und Zerstörung sind?

 


 

Reisen trotz Terror – darf man das?

 

Fragen wir uns also, ob es in Ordnung ist öffentlich Bilder vom eigenen Urlaub und den ganz persönlichen glücklichen Erlebnissen kund zu tun, während Menschen von diesem Luxus andernorts nur träumen können und im Angesicht des Terrors um ihre Existenz, ja das eigene Leben bangen müssen, so müssen wir uns im Umkehrschluss eben auch die Frage stellen, ob das Reisen per se unter den gegebenen Umständen überhaupt noch praktiziert werden darf.

Grundsätzlich gilt es bei dieser Fragestellung natürlich erst einmal zu differenzieren:

Mit der Frage ob Reisen trotz Terror denn überhaupt noch zulässig ist, geht es keinesfalls darum, ob Reisen im Angesicht aktuellster Entwicklungen noch sicher ist und wie groß die Terrorgefahr am Ende wirklich ist. Völlig andere Themen, die zu behandeln für sich gesehen bereits Stoff für mehrere eigenständige Beiträge böten und mein politisches Know-How ganz offen gesagt auch übersteigen.

Ganz persönlich vertrete ich die Meinung, dass wir trotz aller Horrornachrichten und entgegen dem, was medial suggeriert wird, noch immer im wohl friedlichsten Zeitalter der Menschheitsgeschichte leben und eine gewisse Aufmerksamkeit zwar durchaus angebracht ist, die ewige Schwarzmalerei, wie sie derzeit praktiziert wird, am Ende aber alles schlimmer macht als es eigentlich ist.

An dieser Stelle aber dennoch ein kleiner Diskurs mit zweit aktuellen Beiträgen:

So berichtete etwa Die Welt erst vor wenigen Tagen von der ungebrochenen Reiselust der Deutschen, bemerkte aber auch, dass sich die Wahl der Feriendestination unter Einbezug der aktuellsten Geschehnisse deutlich verschiebt :

Oft bestimmt die Angst vor Terror das Urlaubsziel

Ganz ähnlich fast auch das Lokalblatt Augsburger Allgemeine die aktuellsten Trends zusammen:

Reiselust der Deutschen bleibt hoch

Bezogen ist das Ganze natürlich vornehmlich auf den Pauschaltourismus, dürfte aber auch für viele Individualreisende zutreffen…


Wieso stellen wir uns diese Fragen gerade jetzt?

Zurück also zum Thema: Reisen trotz Terror, ist das moralisch und ethisch überhaupt noch vertretbar, oder schon ein Schlag ins Gesicht all jener die aktuell unsagbarem Leides ausgesetzt sind?

Wie bereits geschrieben ist einer der Hauptaspekte, der uns aktuell dazu zwingt unsere ethische Grundhaltung zu überdenken nicht zwangsläufig der, dass Krieg und Terror tatsächlich „mehr“ geworden sind, sondern der Umstand, dass sich besagte Unruhen plötzlich auch direkt vor unserer Haustüre abspielt.

Aus den Augen, aus dem Sinn …

„Pray for Paris“, dürfte dabei wohl das zweckdienlichste, aber auch aktuellste Beispiel sein. Als im November 2015 Bomben in fünf Teilen Paris die Metropole erschütterten, dauerte es nicht lange, bis sich in den sozialen Medien eine Welle der Solidarität ausweitete, Profilbilder mit den französischen Landesfarben versehen wurden und in Folge ein regelrechter Aufschrei durch Europa ging. Wo jedoch waren die Pray for Aleppo-Rufe die in den vergangenen Wochen hätten umgehen sollen? Sind wir einfach nur übersättigt, von den Nachrichten die mittlerweile schon fast täglich auf uns einprasseln, oder ist das alles schon wieder zu weit weg? Machen wir am Ende nicht doch am liebsten vor unserer eigenen (europäischen) Haustüre sauber


Eine Frage des Prinzips

Zweifelt man das Recht des Reisens (und damit auch jede andere Form der Freizeitgestaltung, die einen glücklich macht) unter dem Gesichtspunkt an, dass andere es aktuell viel schlechter haben, als man selbst, so gebe ich der Fragestellerin am Ende vielleicht sogar ein wenig recht. Gerecht ist unser Luxus zu Reisen nun wirklich nicht, jedoch betrifft das in erster Linie ganz sicher nicht nur Terroropfer, sondern den Großteil all jener Menschen, die nicht in einem Ersteweltland geboren wurden. Jene Menschen, auf dessen Rücken unser Reichtum überhaupt erst hat entstehen können, auf dessen billige Arbeitskraft wir uns nur zu gerne verlassen, um unseren Standard auch ja halten zu können und deren schwache Währung wir uns völlig selbstverständlich zu Nutze machen, um den eigenen Geldbeutel zu schonen. Damit wären wir aber schon wieder bei einem Thema, zu dem man wohl ganze Seiten füllen könnte, die Grenzen dieses Artikels jedoch sprengen würde. Kurzum: Ja, Reisen ist nicht immer ethisch korrekt und für viele Menschengruppen auch ungerecht. Diese Grundsatzfrage jedoch erst im Angesicht des Terrors zu stellen, ist allerdings wenig gerechtfertigt.

Reisen? Jetzt erst recht!

Ganz im Gegenteil, gerade jetzt (und da waren sich alle Forums-Mitglieder schnell einig) sollten wir reisen. Gerade jetzt sollten wir ein Statement setzen, ein Zeichen für Weltoffenheit, Akzeptanz und Toleranz. Gerade jetzt sollten wir uns unserer Gemeinsamkeiten bewusst werden, aber auch unsere Unterschiede feiern . Jetzt damit aufzuhören, würde denen, die versuchen unsere Welt zu einem schlechteren Ort zu machen nur in die Hände spielen und würde Raum für Misstrauen, Zwietracht und Hass geben. Es wird Zeit, dass wir unsere angeborenen Label endlich ablegen und uns wieder daran erinnern, was es wirklich bedeutet Mensch zu sein. Und wer reist, ist der Antwort auf diese Frage immerhin schon ein gutes Stück näher …


Nachwort: Ich bin mir dessen bewusst, dass nicht jeder meine Ansichten teilen wird, dass meine Gedanken manch einem Leser zu subjektiv sind, zu blauäugig und nicht tiefgehend genug. Lange hat mir jedoch kein Artikel mehr derartig unter den Nägeln gebrannt und so konnte ich gar nicht anders, als diese Zeilen zu schreiben. Gerade deswegen freue ich mich diesmal ganz besonders von dir zu hören. Du hast Anregungen, Kritik oder siehst das Ganze gar genauso? Dann hinterlasse mir einen Kommentar!