Zwölf Meter unter der Wasseroberfläche, das Wasser ist trüb; undurchsichtig vom aufgewirbelten schwarzen Vulkansand, der sich wie eine zweite Haut über weite Teile der Ostküste der Insel zieht und auch die umgebenden Fluten des Meeres nicht unberührt lässt. Die schwarzen Strände von Amed. Das Markenzeichen der Region, das noch bis vor kurzem unzählige Touristen an diese ganz besondere, ruhige Küste Balis zog. Dem verfrühten Ende der Hochsaison geschuldet, tummeln sich an den dunkelsandigen Stränden heute vor allem unruhige Rucksacktouristen, die das beschauliche Örtchen als Zwischenstopp und Ausgangspunkt zur Weiterreise auf die berühmt-berüchtigten Gili-Inseln nutzen. In Trauben stehen sie vor den sich in den Wellen auf und ab wiegenden Schnellbooten zum Einstieg bereit.

Wer hier länger verweilt, residiert meistens in einer der Tauchschulen die sich entlang der einsamen Hauptstraße eng aneinander schmiegen und mit grellen Schildern um die ankommenden Tauchsportbegeisterten konkurrieren. „We Speak German, French, Englisch“, „Certificated 5 Star Padi Center“ oder „Cheap Accomodation! Pool! Wifi!“ heißt es auf den Werbetafeln, die den Straßenrand zum Flickenteppich der Marketingstrategien werden lassen. Dazwischen Frauen an kleinen provisorisch zusammengeschusterten Verkaufsständen, die von rot-stacheligen Litschi-Verwandten bis hin zu Erfrischungsgetränken weltbekannter Marken alles an den Mann zu bringen suchen. Den verbleibenden Platz nehmen Warungs, die kleinen lokalen Restaurants, mit ihren typisch – jedoch nicht ausschließlich – indonesischen Speisen ein. Auch deren Küchen sind zu dieser Zeit kaum ausgelastet und nur noch selten gehen Nasi und Mie Goreng über denn Tresen.

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Von vergangenen Tagen

Und doch habe ich meine Unterkunft zu eben dieser Zeit ganz genau hier in Amed gewählt. Der Grund tut sich in zwölf Metern Tiefe nun endlich vor mir auf. Eben noch im Vertrauen auf ihre Ortskunde meinem Diveinstructor durch die braune Brühe gefolgt, die sich seit unserem wackeligen Eintritt über die einschlagenden Wellen des Strandes um uns entfaltet, weicht die Kurzsicht urplötzlich einem monumentalen Gebilde, dass sich am stillen Grunde des Ozeans ein neues Heim geschaffen hat. Es ist der Buk der USAT Liberty – Einst stolzer Teil der US-Amerikanischen Flotte, wurde das Transportschiff zum Ende des zweiten Weltkrieges von den japanisches Truppen irrtümlicherweise unter Beschuss genommen. Doch dieser Vorfall sollte noch nicht dafür sorgen, dass sich der Stahlgigant in die die Tiefen verabschiedete. Aus dem letzten Loch pfeifend, schafften es die US-Truppen gerade noch den Frachter an Land zu bringen. Jegliche Hoffnung auf eine neuerliche Instandsetzung löste sich bei genauer Begutachtung aber in Nichts auf. Die Schäden zu groß, entschied man sich dafür, den treuen Wassertransporter an Ort und Stelle seinem Schicksal zu überlasen. Nicht jedoch, ohne zuvor dessen Inhalt – mit Hilfe plündernder Einheimischer – bis zum letzten Löffel der Küche, zur letzten Koje der Besatzung und zur letzten Kiste der Fracht an sich zu nehmen. Nackt und ausgeschlachtet lag die Liberty so für etliche Jahre an der Küste Ostbalis brach.

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Bis 1963 ein Ereignis die Insel erschütterte, das nicht nur für die Liberty fatale Folgen haben sollte. Der nahe gelegene Mount Agur, mit 3142 Metern höchster Vulkan Balis, versetzte mit seiner letzten großen Eruption die Bewohner des Eilands in Angst und Schrecken. Die traurige Bilanz: 1148 Tote, mehr als 600 Verletzte und kilometerweite Zerstörung von Agrar- und Wohnflächen. Nicht nur in unmittelbarer Nähe des flammen-speienden Berges, noch viele Kilometer weiter waren die Folgen des Ausbruchs zu spüren. So sorgten die unbändigen Kräfte dieses Naturspektakels dafür, dass die gesamte Region erzitterte. Auch der bis dahin angestammte Platz der USAT Liberty geriet dabei gehörig ins Wanken. Regelrecht hinuntergestoßen, musste das Frachtschiff seine sandige Wiege verlassen und begann seine endgültig letzte Reise. Gerade einmal 20 Meter vom Strand entfernt kam der Gigant auf der Seite zum erliegen und ist seitdem den zehrenden Kräften von Ebbe und Flut ausgesetzt.

Neues Leben

42 Jahre sind seither vergangen und außer dem Bug ist von der einstigen Pracht des Schiffes nicht mehr viel zu erkennen. Ein stählernes Skelett, das ganz und gar von der Natur vereinnahmt wurde und nun das Zuhause unzähliger Meeresbewohner bildet. Auf 125 Metern Länge haben es sich Korallen der unterschiedlichsten Formen und Farben bequem gemacht. Seeschwämme sitzen in Reih und Glied auf der einstigen Außenwand und Seefächer wiegen ihre knochigen Ausläufer in der eingehenden Strömung. In den Ritzen tummeln sich flinke Krustentierchen und zitronengelbe Kugelfische, blau leuchtende Doktorfische huschen vor den ankommenden Tauchern davon, Sweet Lips schnappen mit ihren namensgebenden, voluminösen Lippen nach Essbarem, während am sandigen Grund, kaum sichtbar, Steinfische ihre bedrohlichen Kiefer in die Höhe recken. Aus den neugeformten Nischen der Korallen lugen die hochgiftigen Spitzen, der außerirdisch anmutenden Feuerfische hervor. Gilt es hier Abstand zu bewahren, zeigen sich ganze Schwärme handflächengroßer, silbriger Flossenträger – in der Hoffnung auf Futter – weniger unnahbar und so sehe ich mich mehr als einmal Auge in Auge mit einem der heimischen Bewohner.

 

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Wir haben Glück. Den einstigen Frachtraum des Schiffes, der heute nur noch als dunkle, höhlenartige Einstülpung zu erkennen ist, haben schon seit einiger Zeit zwei schillernde Meeresschildkröten als festes Habitat auserkoren. Zunächst kaum vom Untergrund zu unterscheiden, schiebt eine der gepanzerten Kreaturen ihren schuppigen Kopf hervor und treibt nur wenige Meter unter uns sanft dahin. Hecktisches Treiben ist die Folge. In wortloser Kommunikation hasten binnen Sekunden zwei Dutzend begeisterter Schaulustiger herbei. Die atmosphärische Stille des Wassers, wird nun vom simultanen Ein und Aus der Atemregler gebrochen, abertausende aufsteigende Luftblasen verwandeln den Schauort in ein glitzerndes Durcheinander – ein klaustrophobischer Zustand in den unendlichen Weiten der Unterwasserwelt. Während das Objekt unser aller Begierde völlig unbeirrt weiter seine Bahnen zieht. Es ist das Ende meines Streifzugs. Ein wahrlich gelungener Abschluss. Und während ich mich zum Aufstieg bereit mache, zurück zu den schwarzen Ständen Ameds, wird die USAT Liberty wohl noch unzählige Jahre am Grunde des Meeresbodens, in ihrer letzten Ruhestätte verweilen. Als lebensspendendes Habitat und damit Anziehungsplatz begeisterter Taucher aus aller Welt, stellt sie so – noch lange nach ihrer Dienstzeit – sicher, dass ihr Name nicht in Vergessenheit gerät.

 

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